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Studie: Christliche Kirchen verlieren bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder

Die Zahl der Kirchenmitglieder wird sich bis zum Jahr 2060 einer aktuellen Studie zufolge halbieren. Wie das „Forschungszentrum Generationenverträge“ (FZG) der Universität Freiburg heute gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitteilte, rechnen die Forscher mit einem Rückgang auf nur noch 22,7 Millionen Mitglieder. Die Hauptgründe sind Kirchenaustritte, weniger Taufen und eine alternde Bevölkerung.

Austritte Hauptgrund für Mitgliederschwund

INFO-BOX:
Kirchensteuer
Von einer Kirchensteuer im heutigen Verständnis kann man erst ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts sprechen. Zu dieser Zeit wurden staatliche Stellen geschaffen, um die Abgabe für die Kirchen zu erheben, denen im Zuge der Säkularisation große Teile ihrer materiellen Basis entzogen worden war. In der Bundesrepublik wird die Kirchensteuer von den Finanzämtern der Länder eingezogen, in Bayern unterhalten die Kirchen eigene Kirchensteuerämter. Der Steuersatz beträgt in der Regel 9 Prozent der Einkommensteuer. Die Kirchensteuer macht den größten Teil der Einnahmen der Bistümer aus, so hatte sie beispielsweise im Erzbistum Köln 2011 einen Anteil von 79 Prozent an den Gesamteinnahmen.
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Auch bei den Kirchensteuereinnahmen malt die Studie ein düsteres Bild. Nominell gesehen sollen die Einnahmen bis 2060 zwar auf dem aktuellen Niveau von rund zwölf Milliarden Euro jährlich bleiben. Berechnet man jedoch steigende Gehälter und die Inflation mit ein, hätten die Kirchen zur Finanzierung von Personal und Gebäuden aber einen Finanzbedarf von knapp 25 Milliarden Euro. So geht die Studie unter dem Strich von einem Kaufkraftverlust der Kirchen von 51 Prozent in den nächsten Jahrzehnten aus.

Bei den Ursachen sehen die Forscher den Rückgang der Mitglieder allerdings nur zu einem Drittel im demografischen Wandel begründet. Eine deutlich höhere Bedeutung hätten kircheneigene Faktoren – und darunter wiederum am meisten der Austritt, wie der Freiburger Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen erläutert: „Die Austrittswahrscheinlichkeit schlägt so stark zu Buche, dass die innerkirchlichen Faktoren wahrscheinlich zwischen der Hälfte bis zwei Drittel des Mitgliederschwundes erklären, während die Demografie bei höchstens ein Drittel bis die Hälfte ist.“ Negative Schlagzeilen wie der jüngste Missbrauchsskandal sowie kirchliche Finanzaffären hätten zusätzlichen Einfluss auf diese Entwicklung.

In der Mitglieder-Prognose schneidet die katholische Kirche wegen der Altersstruktur und jüngsten Zuwanderungen aus dem katholischen Osten hingegen etwas besser ab. Bei der evangelischen Kirche gibt es zudem mehr Austritte – aber auch mehr Wiedereintritte. Allerdings geht die Studie bereits für das Jahr 2035 von einem Rückgang von zehn Millionen Kirchenmitgliedern auf 34,8 Millionen aus. Im Osten Deutschlands, wo heute schon weniger Christen leben, werden die beiden Kirchen 2060 gerade einmal noch 1,5 Millionen Mitglieder haben – weniger als die Hälfte von 2017. In der Krise biete sich aber auch gleichzeitig eine Chance für die Kirchen, denn die Hauptursachen für den prognostizierten Mitgliederschwund seien beeinfluss- und veränderbar. So sollten die Kirchen vor allem für die steuerstarke Mittel- und Oberschicht schnellstmöglich Strategien etwa zur Verhinderung von Austritten entwickeln. Besonders in der Altersgruppe der 25 bis 40-Jährigen drohe ansonsten eine extrem hohe Austrittswahrscheinlichkeit.

Kardinal Marx: Studie „auch ein Aufruf zur Mission“

Die FZG-Studie beschreibe einen Trend, den die Sozialforschung bereits vor Jahren festgestellt habe, resümierte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. „Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon.“ Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zeigte sich dankbar, dass man mit der aktuellen Langfristprojektion ein tiefergehendes Know-how über die wichtigste Einnahmequelle der Diözesen erhalten habe und so die kirchlichen Haushalte auch mittel- und langfristig an die erwartete Entwicklung anpassen könne. „Wir geraten angesichts der Projektion nicht in Panik, sondern werden unsere Arbeit entsprechend ausrichten“, so der Kardinal. Für ihn sei die Studie „auch ein Aufruf zur Mission.“