Bundesinnenminister Horst Seehofer hat vor einer gestiegenen Gefahr durch Rechtsextremismus in Deutschland gewarnt. Es gebe eine „besondere Sicherheitslage, die ein dickes Problem ist“ und höchste Aufmerksamkeit von Politik und Sicherheitsbehörden erfordere, sagte der CSU-Politiker am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2020 in Berlin. Die Corona-Pandemie habe zur Verstärkung der rechten Szene beigetragen. Die Zahl der Rechtsextremen sei auf etwa 33.300 gestiegen, wovon etwa 13.300 (rund 40 Prozent) potenziell gewaltorientiert seien.
1. Rechtsextreme suchen Anschluss an bürgerliches Lager
2. AfD-„Flügel“ weiter aktiv
3. Linksextremisten zeigen sich vermehrt gewaltbereit
Rechtsextreme suchen Anschluss an bürgerliches Lager
„Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown“, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. „Sie sitzen gleichsam im Homeoffice und betreiben von dort aus ihre verfassungsfeindlichen Aktivitäten“. Seehofer betonte, im vergangenen Jahr seien zwar viele rechtsextreme Großveranstaltungen abgesagt worden. Rechtsextreme hätten sich jedoch bemüht, über die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu finden. „Besonders besorgt muss uns machen, dass sich die bürgerlichen Demonstranten nicht klar von den rechtsextremistischen abgesetzt haben“.
Haldenwang sprach auch den rechtsextremistischen Anschlag in Hanau an, bei dem im vergangenen Jahr neun Menschen von einem psychisch kranken, aber auch klar erkennbar rechtsextremem Täter ermordet wurden. „Solche rechtsextremistischen Attentate passieren nicht einfach so. Sie sind das Resultat einer Lageverschärfung, die hervorgerufen wird durch eine Vernetzung unterschiedlicher Akteure und durch die enthemmte Sprache im Internet und in der realen Welt“, erläuterte Haldenwang. Als Zeichen an die Szene wurden daraufhin die rechtsextremen Vereine Combat 18 Deutschland, Nordadler und Sturm/Wolfsbrigade 44 verboten.
AfD-„Flügel“ weiter aktiv
Verfassungsschutz- bericht 2020 |
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Erstmals widmet sich der Verfassungsschutzbericht in einem Unterkapitel der sogenannten Neuen Rechten. Diese seien die geistigen Brandstifter der rechtsextremen Szene, so Haldenwang. „Die predigen denen von morgens bis abends, dass eine große Umvolkung in Deutschland stattfindet und dass man dagegen Widerstand leisten muss“. Haldenwang verwies in seinen Ausführungen auch konkret auf die AfD. Deren mittlerweile offiziell aufgelöste rechte Gruppierung „Der Flügel“ sei weiter aktiv und schaffe sich aktuell neue Strukturen. Auch die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) vertrete Gedankengut, das im Widerspruch zum Grundgesetz stehe und propagiere fremdenfeindliche Einstellungen.
Linksextremisten zeigen sich vermehrt gewaltbereit
Als besorgniserregend bezeichnete Seehofer auch die Entwicklung beim Linksextremismus. Die Gewalttaten in diesem Bereich hätten um 34 Prozent zugenommen. Die Szene agiere zudem zunehmend gewalttätig und enthemmt. Er verwies dabei auf „Kleingruppen“, die heimlich und planvoll ihre Taten begingen. 9.600 Personen gelten im linksextremistischen Spektrum derzeit als gewaltorientiert. Im Unterschied zu Rechtsextremisten und Reichsbürgern konnte das linksextreme Spektrum allerdings kaum von der Corona-Pandemie profitieren.
Auch der Islamismus bleibe eine große Bedrohung. Auch wenn ihre Zahl stagniere, gebe es hierzulande immer noch rund 2.150 Anhänger des Salafismus als bedeutendster islamistischer Strömung. Seehofer kündigte an, einen Expertenkreis politischer Islamismus einzusetzen. Generell habe die Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auf den Weg gebracht. So kann der Verfassungsschutz nun beispielsweise bei Messenger-Diensten mitlesen und -hören. Auf die Frage, bis wann die Maßnahme Früchten tragen würden, bekannte der Bundesinnenminister offen, der Prozess werde wohl Jahre in Anspruch nehmen.